Es ist ein Paukenschlag in der Entwicklung des Europäischen Arbeits- und Wirtschaftsrechts: Die Kommission legt einen Entwurf für eine Richtline eines europäischen Mindestlohns vor (COM [2020] 682). Mitgliedstaaten, die einen gesetzlichen Mindestlohn haben, sollen verpflichtet werden, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass dieser Mindestlohn angemessen ist im Sinne von akzeptablen Arbeits- und Lebensbedingungen. Dabei sollen zumindest berücksichtigt werden die Kaufkraft der gesetzlichen Mindestlöhne, das allgemeine Niveau der Bruttolöhne, die Wachstumsrate der Bruttolöhne und der Entwicklung der Arbeitsproduktivität. Das alles soll jeweils regelmäßig und rechtzeitig angepasst und an klaren Kennzahlen festgemacht werden. Ohne es zu sagen, knüpft der Entwurf in seinen Kriterien an das ILO-Übereinkommen Nr. 131 von 1970 an. Dort verpflichteten sich die unterzeichnenden Staaten zur Einführung von Mindestlöhnen, die „jedenfalls [...] die Bedürfnisse der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen unter Berücksichtigung der allgemeinen Höhe der Löhne in dem betreffenden Land, der Lebenshaltungskosten, der Leistungen der Sozialen Sicherheit und des vergleichbaren Standes der Lebenshaltung anderer sozialer Gruppen“ beachten sollen. Der Einfluss dieser Regelung blieb – wie bei vielen ILO-Übereinkommen – begrenzt. Nimmt man ihn ernst, wird dies beim vorliegenden Entwurf anders sein. Dabei regelt er, was er nicht regeln darf, und regelt nicht, was er primärrechtsreform regeln könnte. (Quelle: www.beck-online.beck.de)