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Zwischenlagen

das Außerordentliche als Grund der sozialen Wirklichkeit
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Verfasser: Suche nach diesem Verfasser Giesen, Bernhard
Verfasserangabe: Bernhard Giesen
Jahr: 2010
Verlag: Weilerswist, Velbrück Wiss.
Mediengruppe: Bücher
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Inhalt

Der Fluchtpunkt der kulturwissenschaftlichen Perspektive dieser Untersuchung besteht in der Bedeutung des Außerordentlichen für die Konstitution sozialer Ordnung. Ohne Zwischenlagen lassen sich keine Unterscheidungen denken, ohne Grenzüberschreitung keine Grenzen, ohne Ausnahmen keine Regel, ohne Mehrdeutigkeit keine sinnhafte Ordnung, ohne nichtkontraktuelle Grundlagen kein Vertrag, ohne Exklusion keine Gemeinschaft, ohne Umwelt kein System. In diesem konstitutiven Bezug auf das jeweils Ausgeschlossene unterscheidet sich die soziale Wirklichkeit von der der Natur: während ein Naturgesetz durch das Auftreten von Erscheinungen, die ihm widersprechen, falsifiziert würde, gilt für soziale Regeln und Gesetze das Gegenteil: Sie werden erst durch das Auftreten von Regelbrüchen und Gesetzesverstößen oder die Möglichkeit hierzu notwendig und begründet. Würden keine solchen Regelverstöße und Gesetzesbrüche vorkommen, so wären sanktionsbewehrte Regeln gänzlich überflüssig: das soziale Handeln nähme ohnehin auf spontane und natürliche Weise den gewünschten oder richtigen Verlauf. Aber nicht nur ist das Gesetz auf die Möglichkeit des Verbrechens angewiesen, sondern auch das Verbrechen braucht, um Verbrechen zu sein, die Existenz der Gesetze. Erst durch die Störung wird die Ordnung sichtbar und erst durch die Ordnung erscheint ein Ereignis als Störung. Das Außerordentliche und die Ordnung, die Ausnahme und die Regel, die Zwischenlage und die Unterscheidung, das Gesetz und das Verbrechen konstituieren sich wechselseitig. Keines ist ohne sein Gegenteil, seine Verneinung, denkbar. Dieses Verhältnis der wechselseitigen Konstitution hat epistemologische Folgen. Es verabschiedet die Vorstellung einer Realität, die zwar hinter einem Schleier verborgen ist, aber die durch entsprechende methodische Operationen und das Bemühen um Gründlichkeit freigelegt und unverschleiert sichtbar gemacht werden könnte. Die Gesellschaft gilt dann nicht mehr als ein verzerrendes Zwangsverhältnis, das die einzelnen Personen an ihrer Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung hindert und das durch gerechte Verhältnisse ersetzt werden könnte, die methodisch strenge wissenschaftliche Beobachtung führt nicht mehr jenseits der Irrtümer und Täuschungen zur unverschleierten Wahrheit, das Ablegen der Maske enthüllt nicht mehr ein authentisches »natürliches« Selbst, Moral und Marketing sind kein unversöhnlicher Gegensatz mehr. Stattdessen gilt: die Suche nach nicht weiter auflösbaren Fundamenten, nach unverschleierter Wahrheit, nach unmaskierter Selbstpräsentation, nach gerechter Gesellschaft, nach störungsfreier Information, nach reiner Konsistenz jagt nicht nur ein Phantom, sondern präsentiert das, was nur eine andere Maske, ein anderer Schleier, eine andere Geschichte ist, als endgültig, als rein und als wahr. Dieser epistemologische Fundamentalismus unterschlägt die Entscheidung, eine Repräsentation als unverschleierte Realität auszugeben. Aber es ist eine Entscheidung, wenn auch eine in vielen Fällen gemeinsam und fraglos akzeptierte. Selbst wenn es einen letzten Schleier gäbe, so würde er nur Schreckliches und Unbegreifliches verhüllen. Wer die Haut abzieht, sieht den Körper als blutigen Klumpen. Was bleibt ? und dies ist nicht wenig ? , ist die grundsätzliche Transzendenz der Welt, auf die die Zeichen verweisen: das Reale hat eine Bedeutung, die sich nicht in den Schleiern, den Zeichen, den Repräsentationen erschöpft und die Zeichen sind nur Zeichen, indem sie sich auf eine Referenz, eine Welt, ein Signifikat beziehen, die in den Zeichen selbst nicht vollständig erfasst und aufgehoben werden: es gibt die Fülle des Erlebens, die jede Beschreibung sprengt, es gibt die Überraschung, die plötzlich in unsere Gewohnheiten einbricht, es gibt die Fremdheit, die wir nicht verstehen können. Wenn wir etwas als real empfinden, dann nehmen wir an, dass es die Schleier der Zeichen transzendiert und dass es kurze schockierende Augenblicke geben kann, in denen das Reale uns auf eine unverstellte Weise entgegentritt, aber wir wissen auch, dass dieses sich plötzlich offenbarende Reale für uns immer fremd und erschreckend bleibt und dass wir diese unüberwindliche Fremdheit nur in der Kurzschlüssigkeit des Alltags in Vertrautheit und Gewohnheit verwandeln können. Weder der naive Realismus noch der radikale Konstruktivismus, der diese elementare Transzendenz der Welt im Tanz der Zeichen untergehen lässt, werden dieser Lage gerecht, in der äußerste Gewissheit und Unrepräsentierbarkeit zusammentreffen.

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Details

Verfasser: Suche nach diesem Verfasser Giesen, Bernhard
Verfasserangabe: Bernhard Giesen
Jahr: 2010
Verlag: Weilerswist, Velbrück Wiss.
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ISBN: 978-3-938808-93-1
2. ISBN: 3-938808-93-4
Beschreibung: 1. Aufl., 351 S.
Schlagwörter: Ambivalenz; Grenzüberschreitung; Moderne; Soziale Konstruktion; Soziale Wirklichkeit
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Mediengruppe: Bücher