Das Solidaritätsprinzip war seit jeher ein Grundbaustein des europäischen Integrationsprozesses und durch den Vertrag von Lissabon hat dieses Prinzip eine weitere Aufwertung erfahren. Doch was bedeutet Solidarität im EU-Recht tatsächlich und wie sollte dieses Prinzip umgesetzt werden? Dieses Prinzip durchwirkt zwar das gesamte EU-Recht, doch in einzelnen Bereichen – und im Besonderen im Asylrecht, in der Regionalpolitik, in der Entwicklungszusammenarbeit und im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion – kommt diesem ganz besondere Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang überrascht aber, wie sehr die einschlägige Diskussion geeignet ist, Emotionen zu wecken, wenn auf das Solidaritätsprinzip Bezug genommen wird. In diesem Beitrag soll versucht werden, die Grundlagen des Solidaritätsprinzips in seiner konkreten Verwendung im EURecht offen zu legen. Es wird zu zeigen sein, dass diesem Prinzip im EU-Recht ein ausgeprägt reziproker Charakter (bzw. Gegenseitscharakter) zukommt. Dies bedeutet, dass Leistungen in der Hoffnung erbracht werden, eines Tages eine Gegenleistung zu erhalten bzw. im Bewusstsein, für ein gemeinsames Ziel einzutreten. So interpretiert, kann das Solidaritätsprinzip einen wertvollen Beitrag leisten, das Rechtssystem der EU weiter zu stärken. Sollte jedoch diese reziproke Natur aufgegeben werden und Solidarität primär als Verpflichtung verstanden werden, altruistisch zu handeln und dabei die vorhandenen Ressourcen regional oder global zu redistribuieren (um bspw. über eine Transferunion die Budgetsünden eines Mitgliedstaats zentral zu kompensieren), könnte dies die Funktionsfähigkeit der Europäischen Union und den Grundkonsens gefährden, auf dem diese ruht. (Quelle: www.beck-online.beck.de)